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Kurt Heilbronn leitet das Psychosoziale Zentrum Rödelheim
Quelle: Heike Lyding (pia)©

Ffm. | (Im)migranten

Die Traumata der Migration

Psychosoziales Zentrum für kranke Migranten

»Migration ist keine Krankheit, aber Fluchterlebnisse und Diskriminierung können Menschen psychisch krank machen«. Für Kurt Heilbronn ist dieser Satz seit zwei Jahrzehnten Grundlage seiner täglichen Arbeit. Einer Arbeit, die nach Würzburg und München noch einmal in einem neuen Licht erscheint und in der heutigen Zeit immer wichtiger zu werden scheint. Heilbronn leitet das Internationale Psychosoziale Zentrum im Frankfurter Stadtteil Rödelheim, das Hilfesuchenden Beratung bietet in vielen verschiedenen Fragen – und in vielen verschiedenen Sprachen. Jeder dritte Einwohner im multikulturellen Frankfurt besitzt nämlich keinen deutschen Pass. Und eine ganze Reihe dieser Menschen waren bereits bei ihm. Denn hinter manchem der Einwanderer und Einwandererkinder liegt eine Geschichte der Gewalt, anderen macht die fremde Kultur der neuen Heimat zu schaffen, oder eine Sprach- oder Mentalitätsbarriere hindert daran, seelischen Problemen auf den Grund zu gehen.
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Dolmetscher zwischen Kulturen

Kurt Heilbronn und das Psychosoziale Zentrum

Von Jana Kremin

Licht strömt durch die großen Fenster, eine S-Bahn fährt auf den Gleisen hinter dem Haus vorbei, es ist ruhig auf dem ersten Stock. Kurt Heilbronn, Diplom-Psychologe und Leiter des Psychosozialen Zentrums, sitzt in einer Ecke seines Büros an einem alten Holzschreibtisch, auf dem grauen Linoleum liegen Kelim-Teppiche, an den Wänden hängen selbstgemalte Bilder seiner Patienten. Ein kleines gelbes Schild »Rödelheim – Stadtteil gegen Rassismus« lehnt am Bildschirm seines Computers.

»Migration ist keine Krankheit, aber Fluchterlebnisse und Diskriminierung können Menschen psychisch krank machen«, sagt Heilbronn. Sein Büro, mit den schwarzen Sesseln, der Stehlampe und den Kelims gleicht mehr einem Wohnzimmer: »Ich verbringe viel Zeit hier, da muss ich mich wohlfühlen, das überträgt sich dann auch auf meine Patienten«. Seine braunen Augen blicken wachsam und wissend durch die Gläser seiner markanten Brille mit dem schwarzen Gestell. Der Psychologe arbeitet jeden Tag mit psychisch erkrankten Migranten zusammen und weiß, dass seine Klientel eine besondere Zugangsform benötigt: »Das betrifft nicht nur die Sprache, sondern auch die Bereitschaft der Betreuer, sich auf etwas Fremdes einzulassen.«

20 Sprachen – und die Körpersprache

Es ist Mittagszeit. Essensduft zieht durch die Gänge. Während Heilbronn einen Handwerker anleitet, das neue Logo an die Glastüren zu kleben, kommen die Patienten im Essensraum zusammen. Antike Möbel in den Räumen geben dem modernen Gebäude etwas Warmes, Vertrautes. Rund 30 Mitarbeiter gehören zum Psychosozialen Zentrum. Sie decken etwa 20 Sprachen ab. So können Beratungen beispielsweise auf Spanisch, Kroatisch, Italienisch, Türkisch, Arabisch oder Russisch angeboten werden. Ein dolmetschender Familienangehöriger wird selten hinzugezogen. Zu groß sei die Gefahr, dass er etwas falsch verstehe oder Informationen weglasse, weil er sich schäme, erklärt Heilbronn. Wenn er von seinem Anliegen spricht, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, dann klingt seine Stimme vertrauensvoll, warm. Seine Hände unterstreichen seine Worte, er lächelt viel.

Heilbronn sieht sich als Dolmetscher zwischen den Kulturen: „Ich versuche, zwischen den hier lebenden Minderheiten und der Mehrheit der Bevölkerung zu vermitteln, so dass Kommunikation entsteht“, beschreibt er seine tägliche Arbeit. Und die besteht vor allem darin, Lösungswege mit den Erkrankten zu finden. Der Sohn eines deutsch-jüdischen Emigranten, der vor den Nationalsozialisten in die Türkei floh, und einer türkischen Mutter kam 1958 nach Deutschland. Nach dem Abschluss seines Studiums kam er vor 30 Jahren zum Internationalen Familienzentrum. „Ich erkenne, dass die Migranten in dieser Stadt Probleme haben, aber nicht als Betroffener“, stellt er klar. Diese Distanz ist ihm wichtig. „Es ist gut, dass es Berater mit Migrationshintergrund gibt. Dies bedeutet aber nicht, dass ein Deutscher sie nicht genauso gut behandeln könnte“, sagt Heilbronn. Wichtig sei vielmehr, sich auf den Gegenüber einlassen zu können.

Wenn Menschen in das Zentrum kommen, versuchen Heilbronn und seine Mitarbeiter in einem ersten Gespräch herauszufinden, wo das Problem des Patienten liegt. Denn in den meisten Fällen drücken die Migranten ihre Probleme nicht über die Sprache, sondern über den Körper aus. „Wir sind dann gefordert, herauszufinden, was uns der Körper sagen will, seine Sprache zu verstehen und dies dem Patienten zu vermitteln.“ Die Resonanz ist groß: Mittlerweile nehmen viele die wöchentliche offene Sprechstunde in Anspruch. Doch nicht allen kann dort weitergeholfen werden: Deswegen arbeitet das Psychosoziale Zentrum eng mit anderen Einrichtungen wie Kliniken oder dem Amt für Gesundheit zusammen.

Flucht, Fremde, Arbeitslosigkeit, Heimweh 

Die Palette der psychischen Erkrankungen, mit denen die Menschen kommen, ist groß: Neben traumatischen Belastungen in Zusammenhang mit einer Flucht, könnten noch eine Vielzahl anderer Ursachen wie Arbeitslosigkeit, familiäre Probleme oder Heimweh krank machen. Gerade erst hatte Kurt Heilbronn Besuch von einem Kurden, mit dem er seit fünf Jahren arbeitet. Aus der Türkei geflohen, kam der Mann mit schwersten Depressionen ins Zentrum, immer von der Angst umgeben, dass man ihm sein Asyl wieder entziehen könnte. Der Verlust der Heimat, eine neue Gesellschaft, Sprachprobleme – all das war zu viel für ihn.

Wann die Probleme auftreten, ist dabei ganz unterschiedlich: „Oft kommt es schon während der Umbruchphase, beim Umzug oder der Flucht aus dem Heimatland zu einem Knall und die Menschen brauchen sofort Hilfe.“ Es können aber auch vier bis fünf Jahre vergehen, bis sie Hilfe suchen. „Dann haben sie sich eingewöhnt und orientiert, und darauf folgt dann meistens eine Reaktionsphase, in der Probleme auftreten können“, weiß Heilbronn.

Die Arbeit mit den Migranten unterscheidet sich wesentlich von der mit deutschen Patienten. Neben den sprachlichen Hürden suchen viele der Erkrankten oft eher nach organischen Ursachen für ihr Problem. „Dass ihrer Krankheit vielleicht ein psychisches Problem zugrunde liegt, müssen sie oft erst einmal verstehen“, so Heilbronn. Den Grund dafür sieht er in dem unterschiedlichen kulturellen Verständnis von Krankheit. Gerade in südlichen Ländern dominiert bei Krankheiten eher ein körperorientiertes Denken – die Psyche spielt dagegen eher eine untergeordnete Rolle.

„Menschen, die kranke Migranten betreuen, brauchen vor allem auch ein Wissen über deren kulturellen Hintergrund. Denn für eine erfolgreiche Therapie ist es wichtig, dass der Berater nicht nur medizinisch helfen kann, sondern zudem über die Lebenswelt seines Gegenübers Bescheid weiß“, erklärt Heilbronn die Kombination für eine erfolgreiche Behandlung. Das Nachfragen bei den Erkrankten, eigene Recherchen und der Austausch mit Kollegen helfen den Mitarbeitern des Zentrums, richtig zu behandeln und Fehldiagnosen zu vermeiden. Doch nicht immer gelingt es, einen Zugang zu den Patienten zu finden. Dies sei selten, käme aber durchaus vor.

Patienten vor der Haustür

Seit 20 Jahren gibt es das Zentrum unter dem Dach des Internationalen Familienzentrums und solange ist auch Kurt Heilbronn dabei. Neben einer psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle bietet es eine Tages- und Begegnungsstätte, ein betreutes Wohnen für Migranten und eine ambulante psychosoziale Versorgung für Asylbewerber an.

Auch die aktuelle Flüchtlingskrise geht an dem Zentrum nicht vorüber, selbst wenn hier nur Menschen mit einer Aufenthaltsgenehmigung behandelt werden können. Dennoch zieht man sich nicht aus der Verantwortung: Wenn in der nächsten Zeit in Rödelheim eine große Unterkunft für Flüchtlinge entsteht, ist eine Sprechstunde vor Ort geplant. Sie soll helfen, psychische Erkrankungen zu erkennen und den Betreuungsaufwand einzuschätzen. Denn Kurt Heilbronn geht es bei seiner Arbeit vor allem um die Chancengleichheit, jedem Menschen eine qualitativ richtige und gute Grundversorgung zu ermöglichen.

Sein kurdischer Patient hat mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, musste dafür die Sprache lernen. Wenn er Heilbronn in seinem Büro in Rödelheim besucht, findet die Unterhaltung vermehrt in Deutsch statt. Er merke, dass es ihm besser ginge, die Depression lichter werde. „Und wenn er sich freut, dann freue ich mich auch“, sagt Heilbronn, fast ein wenig stolz. Abschied von seiner Heimat Türkei zu nehmen, die neue Gesellschaft und Kultur zu akzeptieren war der Weg, bei dem ihm Heilbronn geholfen hat.

Im nächsten Jahr muss auch Kurt Heilbronn Abschied von dem Büro in Rödelheim nehmen, von seinen Patienten, von der Arbeit. Denn dann geht der Dolmetscher der Kulturen in Rente. Doch eines wird ihn immer begleiten: Die Motivation, sich auf fremde Welten einzulassen.