Jedes Jahr Gastgeber von GoEast und exground: das Caligari - eine echte Filmbühne
Quelle: Barbara Staubach / Caligari©

Orte & Menschen | Wiesbaden

Eine der letzten Filmbühnen

Kino-Klassiker mit Plüsch und feinem Programm

Herbst und Winter, wenn es draußen dunkler und ungemütlicher ist, ist die Kinozeit schlechthin. Zeit für Festivals, Zeit für Kinobesuche. Pars pro toto dafür: die legendäre CaligariFilmbühne in Wiesbaden, die im November auch das exground Filmfestival beherbergt(e).  

Wenn die »CaligariFilmbühne« im Herzen der alten Kurstadt Wiesbaden buchstäblich ihren roten Teppich ausrollt, sind internationale Filmgrößen in der Regel nicht weit. Zugegeben: nicht die ganz berühmten »Celebrities« aus Hollywood (die finden sich nur auf der Leinwand). Dafür aber ein Volker Schlöndorff (den die Stadt gerade in diesem Jahr mit einer großen Ausstellung geehrt hatte), so manche Tatortkommissarin und unzählige renommierte und undergroundige Film- und Regiegrößen etwa aus Frankreich, aus Osteuropa oder aus anderen Teilen der Welt. Und das Kino selbst, benannt nach dem berühmten expressionistischen Stummfilmklassiker »Das Kabinett des Doktor Caligari«, versteckt sich zwar etwas in einem hinteren Winkel des Wiesbadener Marktplatzes, strahlt dafür aber um so schöner, wenn man den Kinosaal betritt. Tief einladende rote Sessel, goldene Ornamente an den Wänden und reichlich Platz – etwa für einen Flügel, auf dem Stummfilme live begleitet werden – erinnern an und versetzen ganz in die Glanzzeiten des Genres.

Kein Wunder, dass mehrere Filmfestivals die CaligariFilmbühne als Festivalzentrum und Hauptspielort ausgewählt haben. Allen voran sicher jenes ost- und mitteleuropäische »GoEast Filmfestival«, das in diesem Jahr erneut im Schatten von Putins Krieg in der Ukraine Ende April einmal mehr im Caligari zu Hause war – und seinen Beitrag zum Verständnis Osteuropas leistete. Oder eben »exground«, das durch seine feine Auswahl an internationalen Independent-Produktionen bekannt geworden ist. Mittlerweile sind dort aber auch Raritäten wie das »Internationale Trickfilm-Wochenende«, das längst legendäre »Fernsehkrimi-Festival« (mit seiner mindestens ebenso legendären eigenen 24-Stunden-Nonstop-Krimiparade) oder die »Homonale« gerngesehene Gäste.  Kleine, feine Festivals, die sich fast wie an einer Perlenkette durchs Caligari-Kinojahr ziehen. Diese und andere Events, die das Caligari veranstaltet, und allem voran natürlich das sorgfältig ausgewählte Filmprogramm mit unzähligen Originalfassungen, hat dem alteingesessenen Ufa-Kino 2018 auch den Hessischen Kulturpreis eingebracht. Wer einmal in diesem außergewöhnlichen Kino einen Film gesehen hat und dabei wortwörtlich tief in die Sessel und die einmalige Atmosphäre eingetaucht ist, versteht warum … (ojs.).

Barbara Staubach / Caligari©
Abends in Sachsenhausen: Die Wendeltreppe in der Brückenstraße
Quelle: Barbara Walzer (bw.)©

Bücher & Menschen | Die Wendeltreppe

Eine Treppe und zwei Miss Marples

Mit 4.000 Titeln erste Adresse für Krimifans

Zu Orten der Kultur zählen ganz sicher auch Antiquariate und Buchhandlungen. Dort kann man herrlich stöbern, sich inspirieren lassen und die ganze Welt der Literatur entdecken. Und: Die meisten von ihnen sind selten überlaufen. In der Reihe »Bücher & Menschen« stellen wir einige der besonderen Buchorte in Frankfurt vor. 

[> Beitrag auf eigener Seite lesenDer kleine Buchladen am Rande des Brückenviertels gehört heute zum festen Inventar des Sachsenhäuser Kultquartiers. Und: Er ist selbst längst Kult geworden. 4000 Titel, ausnahmslos Krimiliteratur, stehen gut sortiert in den Regalen. Auch ein kleines Buchantiquariat ist Teil des Angebots. Die Wendeltreppe – sie ist seit über drei Jahrzehnten das Reich der beiden Krimi-Expertinnen Jutta Wilkesmann und Hildegard Ganßmüller. Mittlerweile fast schon selbst zwei veritable Miss Marples, kennen sie fast alle Autor*innen und Inhalte, können beraten und laden immer mal wieder am ersten Donnerstag im Monat zu einer Lesung in das Geschäft ein. An diesen Abenden, bei denen sie auch von Freund*innen unterstützt werden, gehe es darum, in entspannter Atmosphäre über die Bücher und ihre Inhalte zu sprechen und einen lebendigen Austausch zu ermöglichen. Wie viele Krimis sie selbst schon gelesen haben, können sie nicht genau beziffern. Auf jedem Fall »sehr viele«. Deswegen sind Krimi-Fans auf der Suche nach spannenden Büchern hier auch an der richtigen Adresse.

Ein persönliches Erlebnis brachte Jutta Wilkesmann Ende der 80er Jahre auf den Gedanken, eine Buchhandlung für Kriminalliteratur zu eröffnen. Damals, so erzählt sie, sei das Genre lange nicht so populär gewesen wie heute. Auch sie selbst habe erst spät damit angefangen, Krimis zu lesen. »Freunde hatten mich dazu gebracht.« Dass sie ihrer Buchhandlung den Namen »Die Wendeltreppe« gab, ist nicht dem gleichnamigen US-amerikanischen Thriller von Robert Siodmark aus dem Jahr 1946 zu verdanken. Von dem hängt zwar ein Plakat an der Wand des Geschäfts, doch es ist vielmehr die Wendeltreppe selbst, die es in den ersten Räumen der Buchhandlung gab und die im Februar 1989 in der Brückenstraße eröffnete. Trotz eines Umzugs vier Jahre später in einen größeren Laden ein paar Häuser weiter, steht auch dort immer noch eine Wendeltreppe zur Dekoration. Sie ist ein Symbol dessen, was den Buchladen für Kriminalliteratur, den Wilkesmann seit seinen Anfängen mit Unterstützung von Hildegard Ganßmüller führt, ist: Eine Oase für Krimi-Fans und solche, die in unserer schnelllebigen Zeit ein- und abtauchen wollen in die Welt des Genres …

Erst seit den 90er Jahren wurden Krimis unter Buchlesern immer beliebter, weiß Wilkesmann. So beliebt, dass sie sogar regelmäßig eine kleine Zeitung für ihre Kunden herausbrachten: das »Kriminal-Journal«. »Irgendwann war der Aufwand aber so groß, dass wir die Zeitung eingestellt haben«. So oder so sind Krimis für Wilkesmann immer viel mehr als nur Mord. »Mich fasziniert, dass Krimis immer sehr schnell auf politische, gesellschaftliche und soziale Zustände reagieren«. Übertragen auf die reale Welt, bedeute dies, dass auch eine Gesellschaft immer bemüht sein müsse, den Täter zu finden, weil sie sonst nicht überleben könne und Misstrauen entstünde. Ein guter Krimi müsse daher auch immer gut recherchiert sein. Doch auch das Krimigeschäft unterliegt dem Wandel. Die Zeiten haben sich verändert, nicht nur im Hinblick auf Technik und das Leseverhalten. Wilkesmann nennt als Beispiel den Brexit, der sich unter anderem auch auf den Bezug der Bücher von britischen Verlagen auswirkt. Doch wie genau, das zeige sich – wie bei einem guten Krimi – wohl auch hier erst nach und nach … (alf.)

Barbara Walzer (bw.)©
Caveland - aus einem subterranen Festival-Programm von 2017
Quelle: Mousonturm©

Orte & Menschen | Mousonturm

Der Anti-Elfenbeinturm

35 Jahre etabliert progressiv

Was hat ein Frankfurter Künstler*innenhaus mit dem Hamburger-Brater McDonald’s zu tun? Im ersten Moment würde uns da mal lange Zeit nichts einfallen. Außer dem »M«. Das jedoch reichte den Mousonturm-Macher*innen 2016 für eine bemerkenswerte Kooperation. Im Mittelpunkt: ein ambitioniertes performatives »Lecture-Programm«, bei dem diverse Dichter und Denkerinnen irgendwie konspirative Vorlesungen hielten. Zu Urban Research, Journalism, Cooking oder Philosophy. Gehalten von Architektinnen oder Kulturproduzentinnen, Autoren oder Musikern – aus Afghanistan, Syrien, Eritrea oder anderen Teilen der Welt. Innovativ waren aber erst recht die Orte der Handlungen: in Frankfurter McDonald’s-Filialen und im eigens umgebauten Mousonturm-Filialcafé …

Frankfurts Mousonturm – eigentlich eine erste Tanz-Adresse der Stadt – steht auch gerne für Experimente, und dies als Haltung und Dauerzustand. Intendant*innen (von denen es seit einem Jahr gleich zwei am Turm gibt), Künstlerinnen und Künstler mieden und meiden dabei allzu ausgetretene Pfade. Sind gerne mal unbequem, politisch, diskursiv. Rausgehen gehört bei ihnen mit zur Kunst – auf die Straße, in die Bahn oder wohin auch immer. Gerne mit Erwartungen und Gewohnheiten spielend. Gerne überraschend – manchmal auch ein bisschen verrückt. Hilmar Hoffmann hatte dies in seiner Eröffnungsrede für das Haus 1988 im Wunsch nach einem »Werkstattcharakter« beschrieben. Ein Auftrag, den das Haus immer wieder auch erfüllt(e). Mit Avantgarde und politischer Kunst für das 21. Jahrhundert oder mit impulsreichen Themenschwerpunkten – »Flucht und Migration« mit Brett Baileys Labyrinth oder »Eine Stadt wie Frankfurt« mit gleich mehreren bemerkenswerten Rimini-Protokollen, zuletzt damals als Schaubude in der Stadt unterwegs. In Corona-Zeiten ging dies soweit, dass man auch gleich mit ganz neuen Bühnen experimentierte. Eine baute man sich als Haus im Haus mit lauter kleinen Logen zum Abstandhalten. Eine andere auf den Frankfurt-Offenbacher Kaiserlei – quasi mitten ins kulturelle Niemandsland …

Rimini Protokoll gehören auch zu den vielen jungen Kreativen, die hier immer wieder eine Plattform erhalten, nicht selten ihre erste, um oftmals wieder zurückzukehren. Dazu gehören auch die Frankfurt-Offenbacher YRD.Works. Der Mousonturm nimmt dabei mehr als andere seinen Auftrag als »Künstler*innenhaus« wahr, das weniger das eigene Haus als viel mehr die Akteur*innen auf den Bühnen in den Mittelpunkt stellt. Doch trotz einem riesigen Kreis mehr und weniger verbundener Künstlerinnen und Künstler, regionalen Größen, bunten Gästen und Sympathisanten hat der Mousonturm auch etwas Familiäres. Ein intimer – und nicht ganz endgültiger – Abschiedsabend von Tänzer und Choreograf Toni Rizzi war einst berührend und beispielhaft dafür, wie sehr der Mousonturm Teil des Netzwerks und der Szene FrankfurtRheinMain ist. Und trotz aller Progressivität darf es in der denkmalgeschützten früheren Seifenfabrik durchaus unterhaltsam sein: mit populären Konzerten und legendären Partys. Liebgewonnene Traditionen gehören genauso zum Programm. Man denke nur an die Max Goldt-Lesungen rund um die Weihnachtstage. Auch ein Michael Quast stand immer mal wieder auf dieser Bühne. Von Hannelore Elsner bis Pussy Riot: Alles subjektive Fragmente eines Künstler*innenhauses, das sich als progressive Kunst-Brutstätte etabliert hat – ohne bereits ganz etabliert zu sein … (pem./vss.).

Mousonturm©
Das Gude - ein Wasserhaus der neuen Art. Nur an der Distanz muss noch etwas gearbeitet werden ...
Quelle: Catalina Somolinos©

Orte & Menschen | Frankfurt

Neues Trinken an alten Mauern

Frankfurt und seine wiederbelebten Wasserhäuschen

Über Jahrzehnte gehörte das Wasserhäuschen in Frankfurt zum Alltag, ein sozialer Ort, an dem alle Generationen und Milieus einander trafen. Wo es menschelte und der Büdchenbesitzer schon wusste, wie viele Biere oder Schokoriegel man abends so kaufen wollte. Doch gerade das wollten viele Menschen irgendwann nicht mehr und haben die Anonymität eines Supermarktes oder einer Tankstelle vorgezogen. Am Büdchen strandeten nur noch die, die man lieber nicht treffen wollte. »Büdchensterben« nannte man das dann irgendwann. Doch was da starb, waren nicht nur ein paar Steine. In Zeiten, in denen über Zusammenhalt, Integration und Partizipation viel diskutiert wird, war am Büdchen eigentlich genau das gelebt worden. Und dies ist keineswegs nur als Wasserhäuschen-Romantik zu verstehen. Vielerorts ist der Büdchen-Alltag auch rauh und traurig. Wie das Leben in der Großstadt eben. Und gerade das schätz(t)en die Menschen.

Schon vor Corona erlebten diese Büdchen ihre Renaissance. In den Corona-Monaten jedoch lebten sie regelrecht auf. Für die einen wurden sie ein wichtiger Ort der Grundversorgung, wenn man sich nicht mit vielen Menschen im Supermarkt aufhalten wollte. Für die anderen wurden sie ein letzter Ort des Socialising mit ausreichender Social Distance in diesen Tagen. Vor allem in der  zuweilen etwas feineren Variante: wie eben wortwörtlich das »Fein« oder etwas abgespacter auch das »Gude« im Nordend. Das eine, sonst die kleine feine Plüsch-Oase mit der oft sehr kreativen Kuchen-Auswahl in der lauschigen Wallanlage, das in Corona-Tagen zur Ausgabe-Theke für frischen Kaffee und Kuchen wurde, den man und frau dann weitläufig rundum auf Parkbänken oder Picknickdecken im zwischenzeitlich vielleicht größten Café Frankfurts nutzen konnte. Das andere der (großflächige) Viertel-/ Kaltgetränke-Treff an der Hauptverkehrsachse, bei dem zwar die 1,50-Meter-Abstandsregel auf einer Verkehrsinsel mitten auf der Friedberger Landstraße selten ganz berücksichtigt, dafür aber ein letztlich auch nicht ganz unwichtiger letzter Teil von Miteinander gepflegt werden konnte (auch wenn mit zunehmender Lockerung nicht wenige es auch lockerer mit Müll und Lautstärke sahen). Überhaupt: Egal, wo das Büdchen steht, in der an Grünflächen reichen Bürgerstadt Frankfurt fand sich immer eine passende Außenfläche. Oder man stand mit dem entsprechenden Abstand einfach so auf einem freien Platz …

Ob vor, ob während, ob nach Corana – das Kulturgut »Trinkhalle« ist Kult. Vereine und Initiativen entstanden mittlerweile rund um die Wasserhäuschen. Die »Linie 11« etwa, die einmal im Jahr sogar den »Frankfurter Wasserhäuschentag« feiert(e). Was vor Jahren zunächst als Aktion einiger Frankfurter Jungs im besten Partyalter startete, ist heute mittlerweile ein ordentlicher kleiner Verein, der als Experte in Sachen »Wasserhäuschen« gefragt ist. Die »Linie 11« hat den Kult nicht unwesentlich mitbegründet und setzt sich für den Erhalt sowie die Pflege eines vom Aussterben bedrohten Frankfurter Kulturgutes ein. Und das Engagement kommt von Herzen – nicht nur, wenn von der legendären gemischten Tüte oder von dem einzigartigen Charme der so ganz unterschiedlichen Büdchen geschwärmt wird. Ob die interaktive Wasserhäuschen-Karte, das erste Wasserhäuschen-Infomobil der Welt oder die Vernetzung der Büdchen-Betreiber: Die Macher haben immer wieder frische Ideen, um die Menschen der Stadt für ihre Traditionshäuschen zu begeistern. Genauer: Sie hatten. Denn seit einiger Zeit wird die Webseite nur noch sporadisch betrieben. Aber noch immer können auf einer interaktiven Karte auch Neu-Frankfurter oder letzte Corona-Gestrandete ihr persönliches Wasserhäuschen finden …

Begonnen hat alles übrigens um die vorletzte Jahrhundertwende, als Frankfurt schon einmal boomte. Sauberes Wasser kam damals nicht aus dem Hahn, sondern eben vom Wasserhäuschen, für das die Stadt gesorgt hat. Heute ist es längst als Treffpunkt und kleiner Laden »um die Eck« wiederentdeckt worden und Teil einer neuen Kultur des urbanen Zusammenlebens. Viele alt eingesessene und auch neue Büdchen mit kreativen Geschäftsideen gehören mittlerweile fest zum Leben im Quartier mit dazu. Genauso wie der Kult um sie, wie es die »Linie 11« oder auch die normalerweise einmal im Jahr auf Tour gehenden Jungs und Mädels vom »Trinkhallen Hopping« pflegen. Um es mit der »Linie 11« zu sagen: »Wir lieben Wasserhäuschen«. Und sie stehen damit offenbar längst nicht mehr alleine – am Wasserhäuschen. Und das zum Glück auch noch lange nach Corona-Zeiten … (pem.).