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Lido & Luisenplatz – wohnzimmern wider Viren und andere Eindringlinge
Quelle: Sibylle Lienhard©

Places to be | Eine Neudefinition

In Wohnzimmer-Atmosphären

Stadt braucht mehr Places (einfach) to be

Place to be – ein Begriff, der längst viel zu inflationär genutzt wird. Und bei dem man sich außerdem fragt, ob das, was dahinter steht, eigentlich erstrebens- und anstrebenswert ist. Vielleicht wäre es sinnvoller, ihn auch einmal neu zu definieren – um ihn dann wenigstens mit Sinn inflationär und sehr viel individueller zu nutzen. Nicht als der Platz, wo man/frau sein sollte. Sondern vielleicht mehr als ein Platz oder Plätze, um schlicht und einfach »zu sein«.

Ein Place to be in diesem besten Wortsinn ist der Frankfurter Luisenplatz. Überhaupt einer der faszinierendsten Plätze der Stadt, ist er im Herzen des Frankfurter Nordends fast so etwas wie das Wohnzimmer des Viertels. Jener kreisrunde leicht erhöhte Platz, auf und an dem die Menschen oft in Kleinstgrüppchen beieinander stehen oder auf Bänken, Stufen oder schlicht auf dem Boden sitzen. An dem manchmal abends ein Stand up-Konzert stattfindet, dem diese Menschen auf dem Platz verstreut in der Sonne lauschen. Der nur freitagsabends zuweilen aus den Fugen gerät, wenn Menschen vom nahen Friedberger Platz herüberschwappen. Der Platz ist zugleich der Platz vor dem Lido, dem wohl wohnzimmermäßigsten Café des Viertels, vielleicht der Stadt. Dort, wo durch das Rund des Platzes die Sonne abends am längsten weilt. Das erstaunlicherweise noch nicht von »neuen Nordendlern« okkupiert wurde, das irgendwie fast eine unsichtbare Hülle umgibt. Ein letztes Refugium, obwohl mitten auf dem Präsentierteller? Nicht, dass man dort – in maßvoller Zahl – nicht aufgenommen würde. Aber irgendwie lässt sich dieses unaufgeregte Café einfach nicht gentrifizieren. Ein kleines gallisches Café, wenn man so will. Das Wohnzimmer im Wohnzimmer. Dort, wo man bis vor Corona an der Toilette noch den Hinweis fand, dass hier jeder hineindürfe – und das Sparschwein nur dezent danebenstand. Und wo in Corona-Zeiten tatsächlich Listen geführt wurden – nicht anonyme Mickey-Mouse-Zettel. Kunststück, im Wohnzimmer kennt man seine Pappenheimer*innen …

Ein Platz, der buchstäblich rund ist. Ein Platz, der Ungewöhnliches anzieht, etwa eine der besten Eisdielen der Stadt auf der anderen Seite des Platzes. Ein Platz wie eine Blaupause, wie Leben in der Stadt auch funktionieren kann – und funktionieren sollte. So gesehen ist dieser Luisenplatz ein besonderer Platz in dieser Stadt. Doch eigentlich gibt es gar nicht so wenige solcher Plätze. Unweit etwa der Platz vor der Lutherkirche. In den Wallanlagen nahe dem Eschenheimer Turm der Bürgergarten. Oder ein ganz beliebiges Stück Rasen an der Weseler Werft am Mainufer. Orte der Begegnung, des Miteinander. Aber nicht der Massen. Sondern oft selbst gewählt. Die ganze Stadt könnte aus solchen Orten bestehen – und sie wären angenehmer und sicherer als jedes Opern- und Friedberger Platz-Pendant. Weil sie eben die ungenannten places to be sind. Einfach nur zum Sein und verteilt über die Stadt … (vss.).

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Das Logo des ausgefallenen Stoffel – Es wirkt ein bisschen wie das Logo dieses Corona-Sommers
Quelle: Stalburg©

Die Welt, wie sie uns gefällt

Bitte Plätze einnehmen

Kultur und Treffen in Corona-Zeiten

Corona hat die Städte und die Gesellschaft verändert. Die Reihe »Die Welt, wie sie uns gefällt« vereint in kurzen Gedankenskizzen, wie Städte in diesen Tagen und vielleicht auch mal über die Corona-Zeiten hinaus mit diesen Veränderungen umgehen könnten. Etwa mit dem Leben auf ihren Plätzen in den Innenstädten. Orte, die durchaus mehr Leben vertragen würden, allerdings auch ein bewussteres und verantwortlicheres Leben. Gefragt sind Städte, Festivalmacher*innen und Gäste gleichermaßen. Ein sommerliches Lehrstück, Plätze richtig zu über- und richtig einzunehmen … 

[> Beitrag auf eigener Seite lesenWelch ein Kontrast war doch in den letzten Wochen auf zwei Plätzen in Frankfurt zu beobachten. Hier der Opernplatz, wo auf engstem Raum an den Wochenenden bis zu 3.000 Menschen zusammen- und sich großteils ohne Masken näherkamen – mit unrühmlichen Höhepunkten zu später Stunde. Dort die Weseler Werft am Mainufer unweit der EZB, wo auf einer Fläche von zehn Opernplätzen zeitweise ein Zehntel dieser Menschen einem chilligen sommerlichen Festival frönte – mit oft erstaunlich viel Abstand und nicht selten strengen Regeln. Die Sommerwerft, jenes eigentlich alternative Frankfurter Straßentheaterfestival rund um die Theatergruppe Antagon, war denn auch in diesem Sommer – bisher – das einzige große Festival, das überhaupt stattfinden konnte. Und das mit anfangs 500, später bis zu 800 Besucher*innen aufzeigte, wie Kultur und das Zusammentreffen von Menschen in Corona-Zeiten funktionieren können. Mit Abstand und Augenmaß, mit Regeln, aber auch mit Verantwortung.

Die Sommerwerft war so etwas wie Avantgarde und Blaupause für den weiteren Corona-Sommer. Allerdings eigentlich auch mit einigen Selbstverständlichkeiten, die vielleicht irgendwann einmal aus dem Blick geraten sind. Sicher: Es war anfangs nervig, sich auf dem weiten Gelände nur mit Maske bewegen zu dürfen und immer aufgefordert zu werden, sich bei den Theaterstücken oder den Performances zu setzen und halbwegs ruhig zu verhalten (glücklicherweise dann ohne Maske). Doch nach ein wenig Eingewöhnung hatte es etwas Chilliges und Entspanntes, das gut zu dem alternativen Festival in der sommerlichen Hitze und Sonne passte. Man fragt sich, warum nicht mehr solcher Festivals auf mehr der vielen Plätze dieser Stadt stattfinden? Denn davon hat Frankfurt wahrlich genug: Plätze, Ufer, Parks bis hin zu den Wallanlagen. Aber auch ganze Straßenzüge, die sich bespielen ließen. Mittlerweile gibt es immerhin einen neuen Anlauf, wenn das Team des Lichter Filmfestes vor 250 Leuten sein Freiluftkino Frankfurt im alten Polizeipräsidium startet. Auch dies ist anders als in den letzten Jahren. Doch die Sommerwerft zeigte, dass anders nicht schlechter sein muss. Vielleicht etwas entschleunigter, vielleicht auch mit dem einen oder anderen Fingerzeig für künftige Festivals. Im Grunde genommen scheint alles ganz einfach: Die Festival-Macher*innen nehmen mutig die Plätze der Stadt ein. Und die Gäste nehmen dann in diesem Jahr auf diesen Plätzen einfach mal brav ihre Plätze ein. Ein paar Regeln für einen langsam wieder fast normalen, wenn auch bald ausklingenden Sommer …

Zugegeben. Die Festivalmacher*innen brauchen dafür auch Unterstützung dieses Jahr. Unterstützung der Gäste, die mitspielen müssen. Und Unterstützung der Stadt, die gerade in Frankfurt sehr zögerlich war und sehr lange brauchte, um selbst einmal Plätze in Angriff zu nehmen und anzubieten. Andere Metropolen der Region wie Mainz, Rüsselsheim oder sogar Offenbach waren da bereits weit voraus (Link: Gemeinsam draußen dabei). In Frankfurt hingegen suchte die Crew des Lichter Filmfests lange nach einem Platz für das Freiluftkino, wanderten Stoffel und Shorts at Moonlight gar ins Internet aus. Dabei hatte der vom Stalburg-Theater organisierte Stoffel sogar schon das richtige Corona-affine Logo mit einem Menschen und ganz viel grünem Raum drum herum in petto. In gewisser Weise war die Sommerwerft übrigens auch eine Blaupause für die Opern- und Friedberger Plätze dieser Stadt. Jener Stadt, deren Oberen sich nun bereit erklärt haben, Clubbetreibern drei Orte zum Bespielen zur Verfügung zu stellen. Sicher eine gute Entscheidung. Aber man fragt sich schon, warum Frankfurt dafür Monate brauchte? Aber auch, warum die Menschen dieser Stadt sich nicht selbst die vielen Plätze nehmen, sie beleben, sie vielleicht auch bespielen? Unweit des Friedberger Platzes etwa den Luisenplatz, der in den letzten Wochen zeitweilig zu einem chilligen Refugium der Frankfurter*innen geworden ist. Mehrfach fand sich auf dem etwas erhabenen Rund in dessen Mitte eine kleine Gruppe Musiker ein, die spontane Stand-up-Konzerte gab. Überhaupt hat dieser Luisenplatz etwas von einem Wohnzimmer des Viertels an solchen Tagen. Wenn sich auf den Bänken und Stühlen auf dem und rund um den Platz die Menschen zusammenfinden. Oder wenn sie im Lido in einem der schönsten und nachbarschaftlichsten Cafés Frankfurts den Abend ausklingen lassen. Und man fragt sich denn auch an solchen Abenden und an solchen Plätzen, was andere Menschen immer wieder dazu bringt, auf einen Platz noch als Achthunderterster oder als achthundertzweite hinzuzugehen, wenn nicht gar als 3001. oder 3002.? Und was sie dazu bringt, überhaupt ohne Abstand und Augenmaß sich in diese Massen zu begeben? Wo es doch so viele andere Plätze und Orte in dieser Stadt im Sommer gibt, die man/frau einnehmen könnte. Aber eigentlich sind dies schon Fragen, die schon gar nichts mehr mit Corona zu tun haben, sondern vielleicht schon mit einer Kultur der Festivals und des Feierns weit über diese Zeit hinaus … (vss.).