Dann, gegen Ende der 1990er Jahre entwickelte sich zum ersten Mal eine Organisation der Freien Szene: anhand von »Rundgängen« traten unabhängige Ausstellungsräume und Projekte des Städteduos Frankfurt/Offenbach in einen intensiven Dialog mit Publikum und Kolleg*innen. Organisiert von der gruppe finger um Florian Haas (Frankfurt) und Fahrradhalle um Oliver Raszewski & Thomas Hühsam (Offenbach) fand diese Art von Festival ab 1997 fünf Mal in Folge statt, parallel zur kommerziellen Kunstmesse ART Frankfurt und unterstützt vom Kulturamt der Stadt Frankfurt. Umtriebige Kulturakteure dieser Zeit und vertreten bei
diesen Rundgängen waren – um nur einige namentlich zu nennen – Stefan Beck mit seinem multi.trudi, ein Kunstraum, Offspace und Kunstprojekt, das auf Austausch, Gespräch und Beteiligung basiert (1997-2003). Konstantin Adamopoulos und Natalie de Ligt sind zwei der wenigen Beispiele, denen der nahtlose Übergang vom artist-run in die Welt der Institutionen gelungen ist. Konstantin Adamopoulos war zwischen 1993 bis 2002 freier Kurator und Ausstellungsmacher in Frankfurt und prägte den Begriff »freie Kunstinitiativen«, gleichzeitig war er im Kontext kommerzieller Galerien tätig. Natalie de Ligt wurde Leiterin des Nürnberger Kunstvereins, nachdem sie von 1999 bis 2002 den Ausstellungsraum in der Oppenheimer Str. 34a betrieben hatte, der seit 1992 bis heute in wechselnder Nutzerschaft als Kunstraum besteht.
Von Off zu On: Wenn die Professionalisierung gelingt, dann geht schnell das Flair und die multidimensionale soziale Funktion des Projektraums verloren, so geschehen bei Jürgen Wolfstädter, der zuvor mit seinem OFKunstraum und nachfolgend mit Galerie Wildwechsel dezidierte Räume für Performances bot und seit 2012 eine klassische Galerie betreibt. Das gutleut 15 (1997-2009) musste wegen Eigentümerwechsel des Gebäudes schließen, Michael Wagener fokussierte sich infolgedessen auf seinen kleinen feinen Kunstbuch-Verlag. Oder der finger Ausstellungsraum Alte Mainzer Gasse 4-6, der 1992-2012 durch zwei Künstler dem Eigentümer Kunsthochschule »entliehen« war, und heute fffriedrich wurde, ein Projektraum, der von Studierenden des MA Curatorial Studies der Goethe-Universität Frankfurt zusammen mit den Studierenden der Bildenden Kunst der Städelschule betrieben wird. Ein Merkmal der nichtinstitutionellen Projekträume ist auch heute noch deren zumeist prekäre Situation, sowohl räumlich wie finanziell. Viele der inspirierenden Initiativen und Orte, deren Phänomen darin besteht nicht gefördert zu werden, sind daher häufig ephemerer Natur. Zu vielen Initiativen, deren Verschwinden nur wenige Jahre her ist, findet sich selbst in dieser digitalen Zeit kaum noch etwas zu ihrer Existenz im Internet. Der für Offenbach wichtige Ausstellungsraum Fahrradhalle, gestartet 1995, schloss 2007 wegen mangelnder Finanzierung und mangelndem Interesse – inzwischen ist auch die Halle abgerissen und das Areal neu bebaut. Standort Atelier / Ausstellungshalle von Joachim Raab und sieben weiteren Künstler*innen 1996-2006 – abgerissen, der auswärts Kunstraum 1999-2002 – keiner weiß, was daraus wurde. MATO, Ateliers und ein Ausstellungsraum, die 2000 in eine Industrieruine einzogen, mussten 2013 das Areal wegen dessen Konversion wieder verlassen (der gemeinnützige Verein besteht jedoch weiterhin und befasst sich mit der Kofinanzierung von Projekten). Es
folgte ein städtisches Atelierhaus mit höheren Mieten und angeschlossen an die lokale Hochschule für Gestaltung. Die letzte Aktivität vom Projektraum Balken, rund 10 Jahre lang betrieben vom Künstler Deniz Alt, stammt aus dem Jahr 2021, aber auch dieses ehemalige Industriegelände wird bald mit Wohnbebauung neu geclustert. Der Bahnhof Mainkur, Kunstraum von 2005 bis 2015, ist wieder Spelunke. Immerhin, das Programm von acht Jahren Kunstraum Schwalbe 54 um Jana Jander ist noch in Facebook abrufbar, letz-
ter Eintrag 2020. Nicht mehr existent sind die feine Wohnzimmer-Galerie und Wochenend-Salon ML44 von Carola Reichel, und viele andere. Eine besondere
Erwähnung: Grxxgs (1991-2006), der unscheinbarste Ausstellungsraum der Stadt: Einladungen, Ankündigen, Vernissagen? Fehlanzeige. Nüchtern und lapidar nur die monatlich wechselnde Installation in diesem kleinen Schaufenster im Frankfurter Nordend. Vom Künstler oder Betreiber gibt es keine Spur. – Doch, wir kennen ihn persönlich: er heißt Heinrich Göbel (er
macht jetzt Fahrradtouren…).
An dieser Stelle ist Stefan Beck für sein seit 1992 bestehendes Blog-Archiv »Thing Frankfurt« (immer noch online!) zu Kunst, Kritik und Neuen Medien zu danken, der dies auch als Netzwerk zur Umgestaltung Frankfurter Kunst bezeichnet. Seine Aufzeichnungen aus der Independent Szene sind eine zeitgeschichtliche Dokumentation höchsten Ranges, hier findet sich eine umfangreiche Charakterisierung vieler Off-Spaces und selbstorganisierten Räume – bis Stefan um 2012 nach Hamburg ging und die hiesigen Aufzeichnungen enden. Ein aktuelles Verzeichnis Frankfurter Projekträume gibt es nicht – noch nicht.