
Eigentlich könnten sich viele Länder dieser Welt und ihre Bewohner*innen selbst versorgen
Quelle: Bernard Gagnon • CC BY-SA 3.0 (s.u.)©
Der Krieg in der Ukraine geht weit über das Land hinaus. Wenn Russland in seinen Nachbarstaat einmarschiert, hat dies Folgen für die ganze Welt. Für Urban shorts beschreibt Radwa Khaled-Ibrahim von medico international, wie sich der Krieg auf andere Länder auswirkt, Krisen und Missstände verschärft, Menschen aus ihren Ländern treibt. Mit Putins Krieg wird etwa der Hunger in vielen Teilen der Welt zunehmen.
»This will be hell on earth«. Es ist nicht überraschend, was David Beasley, Direktor der UN-Welthungerhilfe, sagt. Die Zahlen sind erschreckend: 276 Millionen Menschen in 81 Länder erleben bereits eine Hungerkrise. 44 Millionen sind nur ein Schritt entfernt von der Hungersnot. Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Ukraine und Russlands machen etwa zwölf Prozent aller »calories the world trades« aus; mehr als 30 Prozent des Welthandels mit Weizen, 32 Prozent mit Gerste, 17 Prozent mit Mais und mehr als 50 Prozent mit Sonnenblumenöl, -Samen und -Mehl kommen aus diesen beiden Ländern. Der meiste ukrainische Weizen aus der letzten Ernte wurde bereits exportiert, 30 Prozent liegen aber noch in der Ukraine. Die nächste Haupterntesaison kommt im Sommer, derzeit wäre eigentlich die Saatzeit gewesen (von Anfang März bis Ende April).
Die ersten Prognosen sind verheerend. Es wird damit gerechnet, dass das weltweite Angebot bis zu 50 Prozent bei wichtigen Agrarprodukten wie Weizen, Gerste, Mais, Raps- und Sonnenblumenöl zurückgehen wird. Das trifft vor allem Länder, die ohnehin in den letzten Jahren stark durch unterschiedliche (geo)politische und globale ökonomische Dynamiken geschwächt waren. Das Kriegsland Jemen bezieht mehr als ein Drittel seines Weizens aus Russland und der Ukraine. Die Länder der letzten großen Aufstände – Ägypten, Irak, Algerien, Tunesien, Libanon –, die bereits von Dürre und Inflation betroffen sind, erhalten zwischen 60 und 85 Prozent ihres Weizens aus der Ukraine und Russland. In Ostafrika wird die Dürre durch die – vor allem von uns menschengemachte – Klimakatastrophe Ausmaße wie noch nie erreichen. Außerdem sind die afrikanischen Länder Ghana, Nigeria, Kenia und Somalia große Weizenimporteure. Als Ölimporteur wird Kenia zudem hart von den Sanktionen getroffen, vor allem wegen des überbewerteten Schillings und dem zu erwarteten Handelsdefizit. Es wird erwartet, dass Kenia Subventionen einstellen wird, welche die Benzinpreise künstlich stabil halten. Dies könnte zur Verdrängung von Ausgaben in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Infrastruktur führen.
Doch der Hunger ist nur der Anfang. Dies hat zwei Gründe. Erstens kommt der Hunger selten alleine. Oft wird er mit Gewalt (besonders gegen Frauen und Minoritäten), neuen Schuldenkreisläufen, Binnenflucht (mehr als die Hälfte der weltweiten Fluchtbewegungen), Schwächung der Infrastrukturen sowie besonderen Gefahren für Kinder begleitet. Zweitens sind es die globalen politisch-ökonomischen Strukturen, die dieses Ausmaß an Abhängigkeiten erlaubt haben. Häufig genug produzieren die Landwirtschaften vor Ort nicht mehr für den heimischen Markt, sondern für den Export, sind die »globalen Arbeitsteilungen« verhängnisvoll für die Menschen in diesen Ländern. Es ist kein Zufall, dass der Revolutionsruf in Ägypten »Brot, Freiheit, Würde« lautete. Brot kam zuerst, denn da geht es um die globalen Strukturen, die aus einer Grundversorgung Modelle für Profit gemacht haben. Oder, wie die Sudanes*innen in ihren Protesten gerade rufen: »Crops not cotton«. Denn während Baumwolle eines der klassischen Exportprodukte der Region ist und in den globalen Handelskreisläufen gut fließen kann, steht es aber zugleich stellvertretend für die Ausbeutung des Sudans. Ähnlich ist es in Ägypten, nicht nur mit Baumwolle, sondern auch mit Erdbeeren. Doch wie schrieb der ägyptische Soziologe Sakr El-Nour bitter? »Aus Erdbeeren«, so El-Nour, »wird kein Brot gebacken …«.